Vom „Point of Sale“ zum „Point of Emotion“

Unsere Warenwelt ist bunt und vielfältig; vielleicht bunter als je zuvor. Marketingfachleute beschäftigen sich seit Jahren mit der besten, ausgeklügeltsten Aufteilung und Einrichtung eines Shops. Wie kann man da noch auffallen, Interesse wecken, Emotionen und Kauflust auslösen?
Das Zauberwort zur Lösung dieses Dilemmas ist nicht neu: „Erlebnisshopping!“ tönt es seit Jahren aus allen Ecken. „Von einer erlebnisorientierten Warenpräsentation erwarten Einzelhändler neuen Schwung für ihre Umsätze“, weiß beispielsweise die Plattform Handelswissen.de und erläutert: „Erlebnishandel beruht auf Höhepunkten. Wichtig ist es, im Laden Erlebniszonen zu schaffen und diese durch Blickfänge vom übrigen Verkaufsumfeld abzuheben.“ Ein Erlebnis überrascht, amüsiert, berührt vielleicht sogar. Ein Erlebnis erzählt man weiter.
Können Sie sich vorstellen, dass ein Kunde nach dem Einkaufen zu Hause seiner Frau erzählt: »Du, glaubst nicht, was mir heute passiert ist! Im Baumarkt haben Sie dieses Jahr wieder einen schönen Kunststoffweihnachtsbaum aufgestellt!» Etwas anders sähe es möglicherweise schon aus, wenn dieser Baum ziemlich verrückt mit Kleinwerkzeugen, Schrauben und Dübeln dekoriert wäre. Im »Kundenerlebnis-Management« sind Kundenerlebnisse als „private Ereignisse“ konzipiert, die sich „aus der Reaktion auf bestimmte Stimuli ergeben“. Voraussetzung ist die Beobachtung oder Teilnahme an einem Ereignis. Ein Erlebnis ist also nur dann ein Erlebnis, wenn es wirklich etwas zu „erleben“ gibt. Das mag banal klingen, eine gelungene Umsetzung jedoch ist alles andere als das.
Im Kern geht es bei einer erlebnisorientierten Warenpräsentation darum, angenehme Emotionen beim Kunden auszulösen, etwa:
- Begeisterung
- Glück
- Freude
- (positive) Überraschung
- Sympathie
- Belustigung
- Verblüffung
- Neugier
- Interesse
- Wohlbehagen
- Entspannung
Inzwischen sind sich Gehirnforscher und Psychologen einig darin, dass Emotionen und nicht etwa die Ratio der Antrieb menschlichen Verhaltens sind.
Auch unser Einkaufsverhalten ist stark emotional gesteuert, selbst wenn wir uns gern einreden, rational zu handeln, während wir unseren Einkaufswagen füllen, die Umkleidekabine aufsuchen oder uns für ein Auto entscheiden.
Vor diesem Hintergrund wäre es also angebrachter, vom „Point of Emotion“ zu sprechen statt nüchtern vom „Point of Sale“. Denn wer es schafft, mit einer gelungenen Warenpräsentation gute Gefühle bei (potenziellen) Kunden auszulösen, wird vermutlich seinen Umsatz steigern. Kunden werden seine Verkaufsfläche öfter ansteuern und länger dort verweilen als beim Mitbewerber. Und wer länger bleibt, kauft im Allgemeinen auch mehr.
Mit Kundenerwartungen spielen: Warenpräsentation einmal anders
Wer gezielt danach Ausschau hält, wird überrascht von der Fülle witziger, überraschender und ungewöhnlicher Darbietungen „ganz normaler“ Ware, von Präsentationen, die die Angebote häufig selbst zum Nebendarsteller werden lassen und die Kunden für einen längeren oder auch nur ganz kurzen Moment begeistern, fesseln oder zum Schmunzeln anregen. Lassen Sie sich von den folgenden Beispielen inspirieren.
Strategie 1: Erzählen Sie eine Geschichte!
Unter „Erlebnis-Shopping“ werden herkömmlicherweise kleine bunte Themeninseln in einem Meer unspektakulär präsentierter Waren verstanden. Doch Hollister ist nicht der einzige Shop, der ein ganzheitliches Setting kreiert und seine Waren in eine Geschichte verpflanzt. Zwei weitere ganz unterschiedliche Beispiele:
Victoria’s Secret: Dessous für gefallene Engel
Das US-Wäschelabel verkauft keine Lingerie, sondern leicht verruchte Träume von Schönheit und Sex-Appeal. Dazu gehören aufwendig inszenierte Fashionshows, die BHs und Slips, wie sie heute jedes Kaufhaus führt, in ein spektakuläres Setting versetzen: weiß glitzernder Laufsteg, Models mit endlosen Beinen und vor allem märchenhafte „Kostüme“, in denen Engelsflügel in allen Formen, Farben und Materialien eine Hauptrolle spielen. Die Wirkung ist sensationell – Videos der Show 2011 wurden im Internet weit über 3 Millionen Mal angeklickt.
Strategie 2: Machen Sie Ihr Schaufenster zum echten Hingucker!
Königliche Guckkästen
Zum sechzigjährigen Thronjubiläum der Königin 2012 hatte Harrods sich etwas Besonderes einfallen lassen. Das Kaufhaus bat 31 namhafte Designer, eine Krone zu entwerfen. Man kleidete die großen Schaufensterflächen rot aus und ließ nur ein kleines Sichtfenster offen. Dahinter waren die ganz unterschiedlichen witzigen, verspielten, schrägen Kronen ausgestellt, natürlich auf Samtkissen und in Glasvitrinen, ganz wie die königlichen Kronjuwelen im Tower. Die Passanten drückten sich die Nase platt und schossen Fotos.
Action im Schaufenster
Die Schaufenster des Kaufhauses „Loeb“ bieten fast immer etwas Spannendes. Sie wurden in der Osterzeit schon zum Kleintierzoo umfunktioniert (für Osterhasen natürlich), als Ausstellungsräume des naturhistorischen Museums genutzt und dafür eigens mit einer Vernissage eingeweiht, zum Zuschauerraum eines Theaterstücks gemacht, für das sich Schauspieler unter die Passanten mischten und für das Eintritt zu zahlen war, zum interaktiven Adventskalender umgestaltet, bei dem Passanten das jeweilige Türchen fotografierten und über eine App zu einem Gutschein gelangten. Schon vor Jahren lebte sogar eine Woche lang eine Familie im Loeb-Fenster!
Strategie 3: Bieten Sie eine Show!
Wissen Sie, warum echte Pizzabäcker den Teigfladen in die Luft werfen und ihn dabei schwungvoll rotieren lassen? Ich habe lange Zeit vermutet, das brächte die Pizza besser in Form. Weit gefehlt, es ist reine Show – eine gekonnte Warenpräsentation eben! Nicht anders als beim Barkeeper, der mit seinen Flaschen herumwirbelt wie ein Jongleur. Sonst könnte man seinen Cocktail ja auch anderswo trinken als in einer schicken Bar. Der Preis jedoch spielt fast keine Rolle mehr, wenn das Erlebnis stimmt.
Pike Place Market: Fliegende Fische schmecken besser
Die Händler lassen hier selbst kapitale Lachse durch die Luft segeln, bringen Krebse schwungvoll auf den Weg und sind auch sonst für jeden Spaß zu haben. Der Erfolg des Standes liegt in der Show, nicht in der Qualität der Ware. Der Fisch ist anderswo sicher auch nicht schlecht.
Nächste Woche lernen Sie neue Strategien kennen. Bleiben Sie dran.